„Pferde für unsere Kinder e.V.“-Interview mit Natascha Horstmanshoff
Natascha Horstmanshoff ist Dipl. Sozialpädagogin, ausgebildete Reittherapeutin und HIPPOLINI Reitlehrkraft. Pferde sind seit Anfang der neunziger Jahre ein wichtiger Bestandteil in ihrem Leben. Ihre Leidenschaft, die Arbeit mit Pferden, verbindet sie mit ihrer beruflichen Karriere. So arbeitet sie seit 20 Jahren mit Pferden als therapeutische Helfer und gründete den Betrieb „Sonnenreiten Heilpädagogisches Reiten“. Außerdem bietet Sie als HIPPOLINI Reitlehrkraft HIPPOLINI Schulprojekte für die Schulen in ihrer Umgebung an.
„Pferde für unsere Kinder e.V.“ wollte von Natascha Horstmanshoff wissen: Aus welchen Gründen hat sie sich für die therapeutische Arbeit mit dem Partner Pferd entschieden? Was steckt hinter den HIPPOLINI Schulprojekten? Wie werden diese von den regionalen Schulen angenommen und warum ist es so wichtig, Kinder mit Pferden bzw. Tieren in Berührung zu bringen?
(Foto: Natascha Horstmanshoff)
„Pferde für unsere Kinder e. V.“: Frau Horstmanshoff, mit Ihrem Betrieb „Sonnenreiten“ auf Ihrem Hof Schnitzerstube in Münstertal bieten Sie heilpädagogisches Reiten sowie Reiten für förderbedürftige Kinder und Erwachsen an. Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen? Und aus welchen Gründen haben Sie sich für die therapeutische Arbeit mit dem Partner Pferd entschieden?
Natascha Horstmanshoff: Das hat den Ursprung in meinem Studium. Ich selbst habe Pferde seit meinem 16. Lebensjahr und mit dem Studium der Sozialpädagogik habe ich die Chance gesehen, meine Leidenschaft zu meinem Beruf zu machen. Im Rahmen meines sechsmonatigen Praxissemester hatte ich die Möglichkeit auf einen Hof im Elsass zu gehen, welcher sich auf die therapeutische Arbeit mit Pferden spezialisiert hat. Dort konnte ich verschiedene Einsatzmöglichkeiten, wie mit Pferden gearbeitet wird, kennenlernen. Durch meine Anleiterin hatte ich zudem die Chance an zwei Modulen der französischen Ausbildung zur Reittherapeutin teilzunehmen. Diese Chance habe ich genutzt und die zweijährige Ausbildung beim Förderkreis für therapeutisches Reiten in Deutschland an mein Studium angeschlossen.
Während meiner Zeit im Elsass habe ich, durch ein Erlebnis mit einem Jungen in der Therapie, die Autismus Spektrum Störung kennengelernt. Dies veranlasste mich dazu meine Diplomarbeit zum Thema „Reittherapie mit autistischen Kindern“ zu schreiben. Dafür bin ich drei Monate in Frankreich in eine Einrichtung gegangen und habe dort eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt. Durch die Beobachtung von rund 50 Kindern mit der Autismus Spektrum Störung untersuchte ich, welche Einflussmöglichkeiten das Pferd auf die Kommunikation und soziale Interaktion bei autistischen Kindern hat. Mittlerweile bin ich selbständig und habe gemeinsam mit meinem Mann ein Unternehmen gegründet. Wir bieten Integrationsdienstleistungen für Kinder und Jugendliche im Autismus Spektrum an. Hier am Hof haben wir mittlerweile acht Pferde, mit denen ich direkt bei uns im Münstertal meine Arbeit mit Pferden anbiete.
„Pferde für unsere Kinder e. V.“: Durch Ihre heilpädagogische Arbeit haben Sie mit Sicherheit bereits viele schöne Erlebnisse mit Kindern erfahren. Welche Erlebnisse waren besonders prägend für Sie?
Natascha Horstmanshoff: Die prägendste und intensivste Zeit war tatsächlich meine Zeit in Frankreich während meiner Diplomarbeit. Dort durfte ich viele beeinträchtigte autistische Kinder kennenlernen und beobachten. Was mich nachhaltig berührt hat, war zu sehen, wie die Pferde auf die Kinder reagiert haben. Dass sie die Kinder einfach so annehmen, wie sie sind. Wir hingegen urteilen sofort, wenn wir Menschen begegnen. Pferde tun das nicht. Sie begegnen dem Kind so, wie es ist und reagieren darauf ohne, dass wir dem Pferd sagen müssen, was es zu tun hat oder wie es reagieren soll. Dabei bringen sie das Innerste des Kindes zu Tage. Denn auch das Kind kann sich dem Pferd gegenüber nicht verstellen. Als Therapeuten stehen wir daneben und dürfen beobachten. Unsere Aufgabe ist es zu interpretieren, was die Pferde uns zeigen. So habe ich zum Beispiel einen Jungen in der Therapie kennengelernt, der sehr aggressiv war und ein selbstverletzendes Verhalten hatte. Bei der Therapie stellte ich mich mit dem Pony bei der Aufstiegshilfe bereit. Er kam, setzte sich aufs Pony und wir liefen los. In Frankreich war es so, dass die Therapeuten immer rückwärtsgelaufen sind also vor dem Pferd her, sodass sich das Kind sowohl vom Blick des Therapeuten als auch vom Pferd getragen fühlen konnte. Während ich mit dem Kind die Runden gelaufen bin, hat das Kind geschrien, sich gegen den Kopf geschlagen und war in seinen Aggressionen gefangen. Von Runde zu Runde wurde er entspannter. Irgendwann hat er sich vom Pferderücken runter rutschen lassen, saß im Sand und hat dabei einfach nur bitterlich geweint. Ich habe ihn zu einer Bank begleitet, setzte mich hinter ihn, um ihn zu stützen. Was beeindruckend war, das Pony folgte uns, legte seinen Kopf in seinen Schoß und spendete dem Jungen Trost. Die Wut und Verzweiflung des Kindes wandelte sich in Trauer. Das zu erleben, dass sich Gefühle mit dem Pferd verwandeln können ist bemerkenswert. Es fasziniert mich immer wieder, dass wir als Therapeuten den Pferden nicht sagen müssen, was sie zu tun haben, sondern die Pferde reagieren einfach. Wir sind zwar da, können einen Rahmen schaffen und den Kindern diese Chance bieten, aber letztendlich können wir nur zuschauen bzw. beobachten, was passiert.
„Pferde für unsere Kinder e.V.“: Welchen Wert hat das Pferd aus Ihrer Erfahrung heraus für Kinder und Jugendliche? Und warum ist der Kontakt zum Pferd so wichtig?
Natascha Horstmanshoff: Jedes Kind bringt seine eigene Persönlichkeit und Geschichte mit zu den Pferden. Und so ist auch der Wert des Pferdes je nach Kind ein ganz anderer. Bei unserer Arbeit mit Pferden bieten wir Kindern die Möglichkeit, sich zu entdecken, ihre Gefühle zu entdecken und sind für das Kind da. So können ganz andere Seiten von den Kindern zu Tage kommen: Wie aus Aggressivität plötzlich Trauer wird diese Trauer können wir behandeln. So habe ich zum Beispiel ein Kind in der Schulbegleitung, welches in der Schule über Tische und Bänke gesprungen ist und Stühle umhergeworfen hat. Das Kind zeigte hauptsächlich aggressives Verhalten. Er kam zu mir und meinen Pferden in die Therapie. Auf einem Weg, der eigentlich nur fünf Minuten braucht, waren wir über eine Stunde unterwegs, weil es bergab ging und jeder Schritt vom Pferd war eine Herausforderung für das Kind. Das Kind zeigte nämlich plötzlich Ängstlichkeit. Das ließ die gesamte Aggressivität in der Schule in einem ganz anderen Licht erscheinen, wenn man merkt, hinter dem Verhalten des Kindes steckt Angst. Damit kann ganz anders umgegangen werden. So ist, wie bereits gesagt, der Wert des Pferdes für jedes Kind ein ganz anderer. Das Schöne daran ist, dass die Pferde die Kinder nicht spüren lassen, dass sie sich gerade in einer Therapie befinden. Sie können einfach herkommen, können sein und dürfen so sein, wie sie sind.
„Pferde für unsere Kinder e.V.“: Neben Ihren heilpädagogischen Angeboten, bieten Sie als HIPPOLINI Reitlehrkraft für die Schulen in Ihrer Umgebung HIPPOLINI Schulprojekte an. Können Sie uns das Projekt näher erläutern? Wie wird das Angebot bei den Schulen angenommen?
Natascha Horstmanshoff: Das Schulprojekt soll Kindern im Grundschulalter die Möglichkeit geben mit Pferden in Kontakt zu kommen. Natürlich gibt es in diesem Alter immer wieder Kinder, vor allem Mädchen, die sagen, sie möchten reiten, aber nicht alle Eltern können oder möchten das ihren Kindern ermöglichen. Das Schulprojekt bietet die Chance, alle Kinder im Grundschulalter in Kontakt zum Pferd zu bringen. Konkret läuft das Schulprojekt so ab, dass ich an zwei Tagen in die Klasse komme und mit den Kindern die Grundeigenschaften von Pferden bespreche: Herdentier, Fluchttier, Dauerfresser, Lauftiere usw.. Auch wird besprochen, wie es abläuft, wenn die Kinder zu mir an den Hof kommen. Gleichzeitig bekommen sie im Vorfeld das Holzpferd, welches ich von Ihnen erhalten habe, um sich mit dem Thema Pferd zu beschäftigen. Im Anschluss haben die Klassen die Möglichkeit ein bis drei Tage zu uns an den Hof zu kommen. Die Klassen werden in Gruppen eingeteilt, so dass immer ein paar Kinder zusammen mit mir Übungen auf dem Reitplatz mit den Ponys machen und die anderen an vorbereiteten Lernstationen sich Wissen rund ums Thema Pferd aneignen können, wie zum Beispiel zur Fütterung, Pflege und Verhalten der Pferde. Die Gruppen werden innerhalb des Tages immer wieder gewechselt, sodass jedes Kind mit dem Pony in Kontakt kommt. Am Ende des Projektes hat jedes Kind seine eigene Projektmappe mit Bildern, Arbeitsblättern, die sie sich erarbeitet haben und Geschichten, die sie über die Pferde geschrieben haben. Je nach Wunsch der Lehrer, kann das Projekt in der Schule weiter bearbeitet werden.
Die Schulen im Münstertal waren zuerst etwas kritisch dem Projekt gegenüber, aber mittlerweile freuen sich alle drei Schulen auf die Projekttage. Mit einer Schule habe ich bereits feste Termine für die Durchführung. Mit den anderen beiden Schulen werde ich mich in den kommenden zwei Wochen treffen. Alle drei Schulen möchten das Projekt aber zu Beginn des neuen Schuljahres machen und es als Chance für die Klassengemeinschaft nutzen.
„Pferde für unsere Kinder e.V.“: Nun kommen wir auch schon zur letzten Fragen. Aus welcher Motivation heraus stellen Sie sich der Aufgabe, Kinder und Jugendliche mit Pferden und der Natur in Kontakt zu bringen?
Natascha Horstmanshoff: Ich selbst hatte die Chance, mit 14 Jahren reiten zu dürfen. Durch meine Tante bot sich mir die Möglichkeit ein eigenes Pferd zu haben und ich durfte selbst erleben, wie positiv dieser Einfluss von Pferden ist. Bei meinen eigenen Kinder, die hier am Hof quasi mit Pferden aufgewachsen sind, habe ich gesehen, wie wertvoll es ist, mit den Pferden auch den Kontakt zur Natur zu erlernen. Bei jedem Wind und Wetter ist es nötig, dass wir hinausgehen und unsere Pferde versorgen. Wir müssen Rücksicht auf unsere Pferde nehmen. Die Kinder lernen dadurch Aufgaben zu übernehmen, die sie im täglichen Leben auch brauchen, wie Verantwortungsbewusstsein oder wie die Natur zusammenhängt. Zum Beispiel erfahren sie, was es bedeutet, wenn es im Frühjahr nur regnet und dadurch nur schwer Heu gemacht werden kann. Nämlich, dass die Pferde dann kein Futter oder schlechtes Futter haben. All diese Zusammenhänge konnten unsere Kinder hautnah erleben. Diese Chance zu erlernen, wie die Natur zusammenhängt, möchte ich ganz vielen Kindern geben. Mit dem Pferd ist das natürlich viel einfacher, weil es einen hohen Aufforderungscharakter hat und die Kinder Lust haben zu reiten. Ganz nebenbei lernen die Kinder die Zusammenhänge der Natur kennen. Das ist zwar nicht das Erste, was die Eltern denken, wenn sie ihre Kinder zum Reiten hierher schicken, aber das ist eine ganz große Chance. Bei mir stehen der Kontakt zu den Pferden und die Zusammenhänge der Natur im Vordergrund und nicht das Reiten. So gestalte ich auch meine Unterrichtsstunden mit den Kindern. Wir haben immer ein Thema, welches die Kinder in der Stunde lernen. Zum Beispiel lernen sie die Etagen des Waldes kennen oder die Jahreszeiten. Am Ende jeder Stunde erhalten die Eltern einen Bericht und Bilder von mir. Dadurch lernen die Eltern mit der Zeit den Wert der Stunde zu schätzen. Sie sehen, dass es nicht nur um das Spielen mit dem Pony oder das Reiten lernen geht. Das ist mir sehr wichtig, da Kinder in diesem Alter oft nur sehr wenig zuhause erzählen und ich möchte, dass die Eltern sehen, dass HIPPOLINI einfach mehr ist, als nur spielen mit dem Pony. Durch meine Berichte sehen die Eltern, was wir machen und was die Kinder gelernt haben. Die Eltern geben mir Rückmeldungen, wenn es zum Beispiel Veränderungen im Sozialverhalten zwischen den Geschwistern gibt. Eine andere Mutter war einmal sehr überrascht, als ihr Sohn ohne Widerrede den Berg hinauflief, um die Ponys von der Koppel zu holen. Das würde er Zuhause nie machen. Aber sowas passiert hier täglich und es ist schön, dass die Eltern das mitbekommen und zu schätzen wissen.
„Pferde für unsere Kinder e.V.“: Haben Sie noch Anregungen für uns oder etwas, dass Ihnen besonders am Herzen liegt?
Natascha Horstmanshoff: Erlauben Sie mir noch einen Satz. Ohne meinen Mann wäre es mir nicht möglich diese tolle Arbeit, die ich so liebe zu leisten. Von Anfang an stand er hinter meiner Leidenschaft für die Pferde und meine Arbeit mit ihnen und den Kindern. Und ihm habe ich all das zu verdanken wo wir heute gemeinsam stehen.
„Pferde für unsere Kinder e. V.“: Herzlichen Dank für das Interview und Ihre tolle Arbeit!
(Fotos: Natascha Horstmanshoff)
Pressekontakt:
Pferde für unsere Kinder e.V.
Lena Vetter
T: +49 (0) 4296 / 748 74 16
E: vetter@pferde-fuer-unsere-kinder.de
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